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Apps in der Hörgeräteanpassung: Mehr als nur Fernbedienung / audimus

Die Rolle von Apps bei der Hörgeräteanpassung

Einstieg: Der Alltag hat sich verändert – die Erwartungshaltung auch

Ein Beratungsgespräch in der Praxis. Die Kundin – Ende 60, aktiv, aufmerksam – stellt nach der Anpassung eine Frage, die vor fünf Jahren kaum jemand gestellt hätte:
„Und wenn ich mal unterwegs bin und was nicht passt – kann ich das auch selbst ändern?“

Was früher als Ausnahme galt, ist heute Standard: Kunden erwarten digitale Flexibilität, schnelle Rückmeldungsmöglichkeiten, und smarte Lösungen – auch im Gesundheitsbereich. Die Hörgeräte-App ist längst kein Zusatz-Feature mehr. Sie ist Teil der Gesamtleistung. Und genau deshalb müssen Hörakustiker sie nicht nur kennen, sondern gezielt in die Beratung integrieren.

Von der App als Fernbedienung zur App als Beziehungstool

In ihrer Anfangszeit waren Apps für Hörgeräte simple Fernbedienungen: Lautstärke rauf, Programm wechseln, fertig. Heute sind sie weitaus mehr:

  • Schnittstelle zwischen Nutzer und Akustiker
  • Plattform für Rückmeldungen
  • Ort für Coaching-Impulse
  • Datenspeicher für Hörverläufe
  • Kontrollzentrum für Eigenanpassungen

Und das verändert die Rolle des Hörakustikers. Er ist nicht mehr nur der Techniker am Anfang der Versorgung, sondern auch der digitale Begleiter im Alltag.

Kundenprofile: Wer nutzt die App – und wie?

Nicht jeder Kunde bringt dieselbe Technikaffinität mit. Wer die Rolle von Apps ernst nimmt, muss Nutzer-Typen erkennen – und den richtigen Zugang wählen:

  • Der digitale Selbstverwalter

Tech-affin, informiert, lösungsorientiert. Nutzt Apps aktiv und erwartet Steuerungsmöglichkeiten.
Tipp: Direkt mit erweiterten Funktionen (z. B. Equalizer, Umgebungsanalyse, Auracast) arbeiten.

  • Der komfortorientierte Alltagsnutzer

Hat kein Problem mit Technik – will aber nicht ständig etwas anpassen.
Tipp: App auf 1–2 Hauptfunktionen begrenzen (z. B. Lautstärke, Fernsupport). Automatik in den Vordergrund stellen.

  • Der zurückhaltende Nutzer mit Unsicherheit

Misstrauisch gegenüber Technik, unsicher in der Bedienung.
Tipp: Keine App „aufzwingen“, sondern optional anbieten. Erst im Nachgespräch einführen, z. B. mit: „Wenn Sie möchten, können wir das später gemeinsam durchgehen.“

Hersteller im Vergleich: Wer liefert welche App-Qualität?

Die führenden Anbieter haben ihre App-Systeme in den letzten Jahren massiv weiterentwickelt – in Richtung Individualisierung, Fernbetreuung und Usability. Hier ein differenzierter Blick:


Phonak – myPhonak 6.0
Extrem umfangreich: Individualisierung, Health-Tracking, Fernanpassung – ideal für technikoffene Kunden. Einsteiger könnten sich von der Funktionsvielfalt überfordert fühlen.

ReSound – Smart 3D & Assist Live
Klar strukturiert, intuitiv bedienbar, mit Auracast™ und starkem Fernservice. Weniger Optionen zur Feinanpassung – dafür besonders anwenderfreundlich.

Signia – App mit KI-Assistant
Lernt mit, passt sich proaktiv an. Ideal für digitale Selbstnutzer. Kunden ohne Technikaffinität müssen etwas Geduld mitbringen.

Oticon – Companion App
Reduziert auf das Wesentliche: stabil, logisch, alltagstauglich. Weniger interaktiv – dafür gut geeignet für Kunden, die „einfach nur hören“ wollen.

Widex – Moment App / SoundSense Learn
Lernfähiger Klang, feinfühlig einstellbar, stark für sensibel Hörende. Für ältere Nutzer kann die Bedienung anfangs erklärungsbedürftig sein.

💡 Fazit: Keine App ist perfekt für jeden – aber jede App kann perfekt sein für den richtigen Kunden.

Die App als Teil der Beratung – nicht als Add-on

Hörakustiker profitieren davon, die App nicht als Anhang zum Gerät zu präsentieren, sondern als natürlichen Bestandteil der Versorgung. Das gelingt durch drei Leitlinien:


1. Integration statt Information

    Apps nicht einfach „vorstellen“, sondern direkt im Gespräch als Option einweben:

    „Viele meiner Kunden nutzen diese App gern, wenn sie mal spontan etwas ändern möchten – andere verzichten bewusst darauf. Ich zeig’s Ihnen kurz – Sie entscheiden.“

    Das nimmt den Druck raus – und gibt gleichzeitig die Wahl.


    2. Szenarien statt Funktionen

      Apps nicht technisch erklären, sondern in Alltagssituationen verankern:

      • „Sie schauen regelmäßig fern? Dann können Sie hier selbst den Ton etwas anpassen.“
      • „Beim Familienessen wird’s oft laut? Das können Sie vor Ort schnell regulieren.“
      • „Und falls Sie mal auf Reisen sind, können wir Ihnen aus der Ferne helfen.“

      So wird aus Technik eine Lösung.


      3. Service verlängern – ohne Termin

        Viele Apps erlauben Feedback direkt aus dem Alltag. Nutzen Sie das aktiv:

        „Wenn Sie unterwegs merken, etwas passt nicht – einfach hier kurz Feedback geben. Ich sehe das und kann es direkt anpassen.“

        Das stärkt nicht nur die Verbindung – es zeigt reale Servicequalität.

        App-Kompetenz im Team aufbauen

        Ein häufiger Engpass in Betrieben: Nur eine Person kennt sich mit der App wirklich aus – und wird damit zur internen „Technik-Anlaufstelle“. Das ist auf Dauer nicht tragfähig.

        So wird App-Beratung zur Team-Kompetenz:

        • Kurze interne Schulungen: 1x im Monat, je Hersteller 15 Minuten: neue Funktionen, häufige Fragen, kurze Anwendungsfälle.
        • App-Guides für Kunden: Kleine, selbsterklärende Handouts oder Videos mit Screenshots der wichtigsten Funktionen – gebrandet fürs Fachgeschäft.
        • Einheitliche Argumentation: Alle Akustiker sollten wissen, wie man Funktionen in Nutzen übersetzt – z. B. durch Gesprächsleitfäden.

        Der Blick nach vorn: Was Apps in Zukunft leisten werden

        Die Entwicklung bleibt dynamisch. Für Hörakustiker heißt das: Dranbleiben lohnt sich. In den nächsten Jahren werden Apps u. a. folgendes bieten:

        • KI-gesteuerte Klangprofile, die sich individuell und lernbasiert weiterentwickeln
        • Vollintegrierte Fernmessungen mit Live-Umgebungsanalyse
        • E-Health-Anbindungen, etwa zur Erfassung kognitiver Leistungsdaten oder Sturzprävention
        • Sprachsteuerung über Smart Assistants

        Und damit wächst die Verantwortung der Akustiker – nicht nur Technik zu erklären, sondern auch deren ethische, soziale und praktische Relevanz einzuordnen.

        Apps sind kein Feature – sie sind Teil des Versprechens

        Für den Kunden ist das Hörgerät heute nicht nur ein Verstärker. Es ist Teil eines digitalen Lebensstils – ob bewusst oder unbewusst. Die App ist dabei nicht die Lösung für alles, aber oft der Schlüssel zu Akzeptanz, Vertrauen und Unabhängigkeit.

        Hörakustiker, die Apps aktiv in ihren Service integrieren, beraten nicht nur zeitgemäß – sie zeigen, dass sie den Menschen im Fokus behalten, auch wenn die Technik komplexer wird.

        Denn moderne Beratung bedeutet nicht, alles zu können – sondern das Wichtige richtig zu vermitteln.




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